Mein Gott, als ich
Hemicudas Thread
gelesen habe, wurde mir klar, daß das mit dem Zivildienst ja auch schon fast 12 Jahre her ist bei mir. Jungejunge. Es ist also an der Zeit, daß ich die ganzen Vorkommnisse einmal niederschreibe, bevor sie in Vergessenheit geraten. Sodenn sei dies der Platz für ein Dramolett in vielen Teilen:
Das Kranke Haus am Rande der Stadt
Das exzellente Studium bezahlt kriegen, einen sicheren Job bekommen und viel Geld verdienen, das waren dir Gründe, weswegen ich Zeitsoldat werden wollte.
Gefährlich ist die Schulzeit, in der man zwar zu wissen glaubt, wie die Welt und vor allem man selbst funktioniert, aber es in Wirklichkeit nicht auch nur annähernd tut.
Jedenfalls habe ich dort das erste Mal aus dem Bauch heraus entschieden, was sich mittlerweile als richtig herausgestellt hat, da ich ansonsten zum wahnsinnigen Hammermörder mutiert wäre. Hauptsächlich wohl, weil neben mir im Hörsaal ein Feldjäger mit entsicherter Waffe hätte stehen müssen, um mich am desertieren zu hindern. Ich bin also Zivi geworden.
Damals war mir Rumgammeln noch fremd bzw. aberzogen, so daß ich 'etwas für's Leben lernen' wollte - beim Rettungsdienst. So weit so gut, doch trudelte drei Tage vor Dienstantritt ein Schrieb ins Haus, daß ich ja eine Farbschwäche hätte, man mir deswegen den Personenbeförderungsschein aberkennen und mich auf T2 herunterstufen müsse. Ach ja, und wenn ich nicht innerhalb von zwei Tagen eine andere Stelle vorweisen könne, würde ich in den damals noch äußerst dunklen Teil Deutschlands zwangsversetzt werden. So wurde ich dann Hol- und Bringer im 'Kranken Haus am Rande der Stadt'. Ein Scheißjob, bei dem ich aber den Spaß meines Lebens hatte.
Der gemeine Zivi in diesem Krankenhaus stand in der Hierarchie irgendwo zwischen Klobürste und Küchenschabe, der Hol- und Bringer gar noch etwas darunter. Sein Job ist es, Essenwagen auf die Stationen zu fahren und von dort wieder abzuholen, Müll und Wäsche abzufahren und die Post zu verteilen. Jeder andere meinte, Befehlsgewalt zu haben, ohne sich im klaren darüber zu sein, daß wir Hol- und Bringer entscheidend dazu beitrugen, den Laden am Laufen zu halten.
Bizarr anzuschauen waren die Festangestellten. Von extrem leckeren Medizinstudentinnen bis hin zum Glöckner von Notre Dame war alles vertreten - von letzteren allerdings wesentlich mehr.
Ein wenig Angst hatten wir Hol- und Bringer vor den Ausräumfrauen, die die Reste aus den Essenwagen in die 'Schweineeimer' verfrachteten. Ab und zu hörte man von denen Sachen wie: "Och Meta, guck ma' die Frikadelle is' doch noch gut..." und sah, zumindest anfangs, als man noch hinschaute, wie eben diese Frikadelle triefend aus dem Eimer gefischt und verspeist wurde. "Ja, Du hast recht, ich hab' hier auch eine... mmmh".
Welche Aufgabe Lena in der Küche hatte, ist mir bis heute verborgen geblieben. Lena war ungefähr 1.50m groß, trug Latschen, die fünf Nummern zu groß waren und einen ebenso viel zu großen weißen Kittel, der bis zum Boden reichte. Sie sprach mit ihrer piepsigen Stimme in eriner Sprache, die wohl nur sie kannte und ihre Augen schauten in die verschiedensten Richtungen - zur gleichen Zeit. Sie bewegte sich meistens ziel- oder orientierungslos durch die Küche. Wenn sie irgendwo anstieß drehte sie sich und lief in eine andere Richtung weiter. Ich mußte immer an die kleinen batteriebetriebenen Spielzeugautos denken, die genau das gleiche tun. Wir nannten sie R2D2.
Dann gab es noch die Handwerker. Die Palette reichte von völlig unfähig bis hin zu 'eigentlich okay aber stinkend faul'. Manche waren auch beides und alle immer besoffen. Aber gegen Heinrich kam niemand an. Mit Heinrich gingen die Rüttelmaschinen durch und Heinrich piekte sich mit Bohrmaschinen ins Auge.
Eines Tages öffnete er die hintere Tür seines Autos auf der Beifahrerseite, stellte seine Tasche hinein, ging um das Auto herum, öffnete die hintere linke Tür, setzte sich hinein und suchte nach dem Lenkrad. Er lebte in seiner eigenen Welt, aber wenigstens lächelte er immer.
Dann gab es da noch die Krankenschwestern, von denen die meisten immer nur meckerten, allen voran Schwester Doof, von der nun meine erste Geschichte handeln soll.
Mein Job war es, morgens früh (um kurz vor sechs) Wasserkisten nach Bestellung auf die Essenwagen zu stapeln. Es wurde, nachdem mehrmals aufgrund mangelnder Kommunikation Bestellungen von über 20 Kisten für einen Tag (es ist ein kleines Krankenhaus mit noch kleineren Stationen) aufgegeben wurden, ein anderes System eingeführt. Ein paar Tage zuvor mußte man mich mit zwei Mann davon abhalten, eine Euro-Palette Wasserkisten mit der Ameise auf die Station zu fahren. Ich war schon fast im Fahrstuhl und der Hubwagen schob den PVC-Boden wellenförmig vor sich her. Aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls hatte Schwester Doofs Station es wieder einmal nicht geschafft, sich klar auf den Zetteln auszudrücken, obwohl man nur Striche machen muß, wobei jeder Strich für eine Wasserkiste steht.
Ich hatte also zweimal weißes und einmal grünes anstatt zweimal grünes und einmal weißes Wasser geliefert. Das war eine Katastrophe! Und als ich mich auf den eigenhändig von ihr ausgefüllten Zettel berief und auch noch sagte, daß ich die Kisten erst in 20 Minuten austauschen könne, weil jetzt nämlich die Essenwagen vorrang hätten, knurrte sie nur: "Das wird ein Nachspiel haben" und machte sich auf den Weg in die Küche, um dort ein paar Wellen zu schlagen.
Daraufhin habe ich mich bei meinen Kollegen entschuldigt (die Essenswagengeschichte kann man auch prima zu zweit schaffen, man sollte es nur nicht so laut sagen), weil ich ja Wasserkisten liefern mußte. Ich bin in die Garage gegangen, habe eine Kiste grünes Wasser (in grünen Flaschen, ohne Kohlensäure) entleert und mit Apfelsaft befüllt. Offensichtlich also, daß diese Flaschen alle schon mal offen waren und kein Wasser enthielten. Man sollte mißtrauisch werden.
Ich tauschte also wie befohlen die überzählige Kiste weißes, durch die präparierte Kiste mit Apfelsaft aus, und freute mich darauf, Schwester Doof wieder einmal explodieren zu sehen.
Aber nichts passierte.
Eigenartig, da die Leute dort eigentlich nicht intelligent genug waren, die Kiste einfach zu entsorgen, nichts zu sagen, und mir so den Spaß zu vermiesen.
Dadurch daß ich, da ich von weiter weg kam, als einziger Zivi im Schwesternwohnheim mein Zuhause hatte, hatte ich natürlich etwas bessere Beziehungen zum Personal und bekam heraus, daß eine Probe des Inhaltes der Flaschen zur Analyse ins Labor geschickt wurde. Und als das Labor sagte: "Urin mit Haschisch", ging eine weitere Probe ins Zentrallabor nach Hannover. Es waren schon sämtliche Vorbereitungen für ein Disziplinarverfahren gegen mich getroffen, aber Hannover lachte sich bloß tot. Und alle (bis auf ein paar Ausnahmen im Krankenhaus) lachten mit.
Das Krankenhaus bezieht den Apfelsaft übrigens immer noch vom selben Hersteller...
...Mike