Zeigen, wo der Hammer hängt
Das Leben im Wohnheim war ein angenehmes. Die Zimmer waren etwa sechs Meter lang und drei, allerhöchstens aber vier Meter breit. Manche hatten auch einen Balkon und alle eine Einrichtung aus den 70ern. Da dort noch nie jemand richtig wohnen wollte, war alles in einem annehmbaren Zustand und irgendwie cool. Im Großen und Ganzen war ich der erste Zivi, der sich dort häuslich eingerichtet hat, mit allem was dazugehört, also Fernseher, Videorecorder, Satellitenantenne, Surroundanlage, Computer, Videokamera, Bücher und und und.
Dusche, Bad und WC gab es im Flur, und es wurde, von zwei extrem zeitlupigen Putzen saubergehalten, die aber die Sanitäranlagen immer tiptop in Ordnung hielten, weswegen sie doch ziemliches Ansehen genossen.
Jeder Zivi hatte dort zwar sein Zimmer, das aber meistens nur zum Rauschausschlafen nach Ziviparties genutzt wurde. Manche Zimmer waren auch doppelt belegt, aber jeder Zivi mußte die volle Miete bezahlen. So wurden wir abgezockt, denn jeder war verpflichtet, dort ein Zimmer zu mieten. Ich sah es als günstige Gelegenheit, von zu Hause weg zu kommen.
Ein paar Schwesternschülerinnen wohnten auch dort und es wurden schnell mehr. Dann kam Kilian. Kilian war der neue Gärtnerzivi und absolut oberlässig, dabei aber nicht irgendwie blöd oder dämlich, nein, er wußte halt, wie man lebt. Er kam aus Cottbus und hatte vorher im holländischen Boskoop Gärtner gelernt. Jetzt war er bei uns und im Wohnheim.
Im Sommer gab es gerne Wasserschlachten. Schwämme und Spritzen waren schnell aus dem Krankenhaus organisiert und der Spaß war enorm. Eimal wurde Kilian von Kathrin und Dorit in eine Falle gelockt. Kilian verfolgte sie mit seiner Spritze und die beiden flüchteten in Kathrins Zimmer, wo schon ein 10-Liter Eimer mit höchstwahrscheinlich eiswürfelgekühltem Wasser wartete. Die beiden öffneten die Tür und Kilian wollte gerade zum Angriff übergehen, als ihn die Sturzflut überraschte. Da stand er nun wie eingefroren, patschnaß, blickte wie ein begossener Pudel drein und wußte nicht wie ihm geschehen war. Aus seiner Spritze träufelte unbeachtet ein armseliger Strahl ins Leere.
Die Gemeinschaft war herrlich. Gemütliche Abende gemeinsam auf dem Balkon, auf dem Flachdach in der Sonne brutzeln, Videoabende, und immer war jemand da, mit dem man Spaß haben konnte.
Irgendwann kam dann Kowalski. Er sollte im HuBD mein Ersatz werden und zog ebenfalls ins Wohnheim ein, direkt neben mich. Plötzlich hatte ich einen Nachbarn, und einen nervigen dazu. Kowalski war nämlich 'DJ Cyberfrog' und führte ein Nachtleben als genialer, aber verkannter Discjockey - so sagte er zumindest.
Eines Abends sah ich mir einen Film an und hörte plötzlich in feinstem Surround einen Dieselgenerator laufen, der mir vorher in dem Film noch nie aufgefallen war. Es war aber kein Generator, es war Kowalski mit seiner Tekkno-Mukke nebenan
*duk, duk, duk, duk*.
Einmal beschloß ich selbst dem Lärm ein Ende zu setzen (nachts um drei oder so), ging zu dem kürzlich durch rohe Gewalt öffentlich zugänglich gemachten Sicherungskasten und schaltete in Kowalskis Zimmer die Steckdosen, aber nicht das Licht ab. Klick. Sein Wehklagen war zwar nicht viel leiser, aber verschaffte mir zumindest innere Zufriedenheit. Noch am nächsten Morgen glaubte er, seine Anlage wäre kaputt.
Meistens aber störte er nicht sonderlich, denn zumindest die inneren Wände des Wohnheims waren sehr solide gebaut, so daß seine Brüllwürfel es nicht vermochten, sie ausreichend in Schwingungen zu versetzen. Leise Musikberieselung reichte schon, um das getucker von nebenan nicht mehr wahrzunehmen. Später, kurz vor meinem Auszug, schaffte ich mir, schon für die nächste Wohnung, einen 38er Subwoofer an. Kowalski sah nun kein Land mehr und sah sich gezwungen, gegenzuhalten.
Eines Tages aber saß ich mit ein paar Kumpels im Aufenthaltsraum und wir beobachteten, wie mein dürrer Nachbar einen ebenfalls beachtlichen Subwoofer in sein Zimmer rollte und gleich darauf in Betrieb nahm.
Einige Zeit später, nachdem er mehreren Aufforderungen, seine Amateur-Erdbebenforschungen doch bitte zu verschieben, nicht nachgekommen war, stand Uwe auf. Uwe war zwei Meter groß, hatte statt Armen Beine mit Händen dran und auch sonst einen einschüchternden Körperbau. Uwe öffnete Kowalskis unverschlossene Zimmertür, ging zu dessen Anlage, schaltete sie aus und verließ auch weiterhin wortlos das Zimmer. Dann war Ruhe.
Tobi schenkten wir einmal zu seinem Geburtstag einen Wecker für sein Wohnheimzimmer. Er war aus Plastik und sah aus wie ein Hahn und klingelte auch so:
"gackergackergacker-KIKERIKIII!". Drückte man dann den Aus-Knopf sagte er fröhlich und beschwingt:
"Guten Moggen!" Es war einfach nur grausam. Der Wecker flog oft an die Wand, aber er war nicht kaputtzukriegen.
Besonders an Montagen nach Konzerten war Tobi ziemlich fertig: "Du Mike, ich weiß, daß ich eingestempelt habe," sagte er mit dem Kopf auf der Tischplatte, "aber kannst Du mal bitte nach vorne gehen und gucken, ob nicht vielleicht mein Auto noch mit offener Tür und laufendem Motor vorm Haupteingang steht?"
Ein anderes Mal holte er mich in den Kühlraum und sagte: "Mike, Du kannst doch auch gut englisch. Hilf mir mal, ich weiß nicht mehr weiter". Er zeigte auf ein aus Platzmangel getrenntes und auf zwei Zeilen verteiltes Wort:
NOT -
ÖFFNER
Ein anderes mail ließ seine unerwartet in einen Satz eingestreute Vokabel 'splitternaserfackt' nicht nur uns, sondern auch die Leute am Nebentisch im Speisesaal kollektiv Losprusten. Sein verwirrtes 'Wat denn, wat denn?!' verbesserte die Situation nicht wirklich.
Den größten Fettnapf aber erwischte Hotte. Wir hatten ein recht lockeres und gutes Verhältnis zur Küchenchefin und es gingen des öfteren flapsige Sprüche in beide Richtungen. Irgendwann wurde bekannt, daß ihre Tochter demnächst in der Küche ein Praktikum absolviert: Sie war doppelt so dick wie doof und dreimal so häßlich, und dazu noch mit einer Brille ausgestattet, deren Bügel man besser hätte unter die Ohren verlegen sollen, damit sie aufgrund des Übergewichtes der beeindruckenden Gläser nicht von der Nase kippt.
Nun gut, eines morgens erblickte Hotte also dieses bemitleidenswerte Geschöpf, bahnte sich seinen Weg direkt zur Chefin und meinte: "Was ist DAS denn?! Ich wußte nicht, daß wir hier auch Panzer einstellen! Ich hab' eben gedacht, ich bin in der Geisterbahn."
Sie blickte ihn daraufhin nur traurig an, und sagte beschämt: "Och, so schlimm ist es doch auch nicht"
Kurz irritiert, ob dieser für ihn doch unerwarteten Reaktion, lief er dann aber doch sehr schnell sehr rot an und schlug die Hände vor's Gesicht. Hätten wir in dem Moment ernsthaft versucht, das Lachen zu unterdrücken, wären wir wohl alle geplatzt.
Gelacht wurde auch viel beim Kartonswegmachen. Immer wenn mal wieder eine Wagenladung Pappkartons fällig war, haben wir damit unsere van-Damme-Technik für den Fahrstuhl trainiert. Die Kartons wurden einzeln auf den Rand des Preßcontainers gestellt und dann mit einem gekonnten Drehtritt (oder wie immer das heißt) in ihn hineinbefördert.
Alternativ dazu konnten auch Löcher in die Pappe hineingeschlagen werden. Die Hand wurde dabei zur Faust geballt und der angewinkelte Mittelfinger leicht vorgeschoben. War man geschickt und schnell genug und hatte ausreichend Hornhaut, konnte man dreilagige Pappe durchschlagen, ohne daß der Karton herunterfiel und man sich weh tat.
Immer wieder beliebt waren auch die großen Kartons im Kubikmeter-Format, die man sich über den Kopf stülpen konnte. Damit den Weg in den Fahrstuhl zu finden ist nicht immer einfach, vor allem wenn man keine Gucklöcher reinmachte.
Eines Tages, als ich gerade wieder mit Kartons am Preßcontainer herumflippte, sprach mich der Gärtner an: "Hey, das machst Du besser da drüben", und deutete in Richtung des Kindergartens, der nebenan war. Ich tat das ganze mit der erstaunten Frage: "Hä? Soll ich die Kartons etwa im Kindergarten kaputtmachen?" ab. Wer uns dumm kam, der wurde mit etwas noch dümmerem abgespeist. Das war Freiheit pur.
"Hey, bring diese Holzplatten mal runter in die Werkstatt."
"Nä' !"
Nicht auszudenken, was solch eine Antwort beim Bund oder im normalen Leben für Folgen hätte.
Unsere größte Machtdemonstration war der 'Streik'. Da uns der dritte Mann abgezogen wurde (weil wir die Arbeit angeblich auch zu zweit schaffen würden) mußten wir uns etwas ausdenken, wie wir ihn zurückbekommen und wieder Skat spielen konnten. Da haben wir die Handwerker studiert, und deren Fähigkeit, nur beschäftigt auszusehen, perfektioniert.
Plötzlich dauerten unsere Touren weit mehr als doppelt so lang, die Post blieb liegen, wir hielten uns an jede klitzekleine Vorschrift, und spülten nicht nur plötzlich unsere Wagen, sondern sogar die Container vom OP. Die Post blieb liegen, die Essenwagen kamen zu spät, Kaffee kam gar nicht - und wir schufteten und schufteten, so hatte es jedenfalls den Anschein. Während wir noch Müll abfuhren, sah man Handwerker verwirrt mit Postkörben über die Stationen geistern und Detlef (unser Vorgesetzter) schob grimmig Essenwagen.
Nach nur drei Tagen war die Entscheidung rückgängig gemacht und wir hatten unseren dritten Mann zurück. Das Krankenhaus funktionierte danach wieder normal. Selbst schuld, man soll Hol- und Bringern halt nicht in ihren Job reinreden.
"Uwe, schipp ma' Schnee." "Hm, ...na gut." (0.5 MB)
...Mike